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Was ist guter Mathematikunterricht?

Sprache lernen im Vorübergehen! Lernposter

Immer wieder hört und liest man: Guter Matheunterricht sollte ein konzeptuelles Verständnis von Mathematik vermitteln, d. h., die SchülerInnen müssen lernen zu denken wie ein Mathematiker, sich frei in den Strukturen zu bewegen. Mathematikunterricht sollte daher den Schülern auch als Kulturleistung nahe gebracht werden, als eine Wissenschaft voller großer Rätsel, schwieriger Probleme, großer Entdeckungen und interessanter Strukturen. Natürlich auch als Teil des Alltags, der in Wetterberichten, in Bahnfahrplänen, im Chipdesign steckt, aber auch als Wissenschaft der Logik und des Argumentierens, von Beweis und Widerspruch. Angewandte Mathematik ist übrigens auch dann gut, wenn sie mit der Lebenswelt der Schüler zu tun hat, also sollten keine Textaufgaben mit Bauern und Kartoffeln gestellt werden, sondern mit Handyrechnung, Facebook und Shoppen.

Nach einer Aussendung der PH Zürich ist guter Mathematikunterricht verstehensorientiert und ermöglicht Vernetzungen, schafft und nutzt Möglichkeiten zum Austausch über mathematische Fragen und Erkenntnisse, ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit mathematischen Fragestellungen, ist zielorientiert, fördert alle Kinder und ist für diese anregend und bedeutsam. Eine zentrale Kompetenz der Lehrenden ist dabei, den Mathematikunterricht aus der Sicht der Lernenden zu denken und diese zu fachlich korrekten Lösungen und Darstellungen zu führen. Um Kinder sinnvoll zu fördern, braucht es aufmerksame, mathematisch kompetente Lehrende, die die Schwierigkeiten eines Kindes erkennen, wissen, wie sie weiterhelfen können und dies auch tun, etwa indem sie Aufgaben den Bedürfnissen der einzelnen Kinder entsprechend anpasst. Unterrichtsmaterialien und zu bearbeitende sollten im Hinblick auf das Lernziel einer Lektion ausgewählt und den Fähigkeiten der Kinder und der zur Verfügung stehenden Zeit angepasst werden.

Guter Mathematikunterricht ermöglicht allen Kindern eine hohe mathematische Eigenaktivität in Hinblick auf das angestrebte Lernziel, d. h., es genügt nicht, dass Schülerinnen mit Material hantieren, sondern sie müssen die mathematische Bedeutung, die mit dem Material dargestellt wird, erkennen und nutzen.
Guter Mathematikunterricht geht auch nicht davon aus, dass alle Lernenden gleich leistungsstark sind, sondern es sollte eine inhaltliche Differenzierung stattfinden, indem Kinder Aufgaben lösen, die eine Bearbeitung auf verschiedenen Niveaus ermöglichen, d. h., dass Kinder unterschiedliche Aufgaben zum selben Thema bearbeiten können oder dass manche Kinder die gleiche Aufgabe mit und andere ohne Hilfsmittel lösen.

Die klassischen Verständnisproblemen in der Mathematik auf verschiedenen Schulstufen

Susanne Prediger vom Institut für Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts an der Technischen Universität Dortmund sagt in einem Interview anlässlich eines Mathematikerkongresses an der Universität Paderborn zu den klassischen Verständnisproblemen in der Mathematik auf verschiedenen Schulstufen: „Die Probleme sind strukturell ganz ähnlich. Oft werden aber die sprachlichen Voraussetzungen unterschätzt, was dazu führt, dass wir einige Lernende abhängen. Diese Hürden gibt es sogar bis hin in die Universitäten. Aber: An jeder Stelle, an der die Mathematik einen Abstraktionsschub macht, verlieren wir Schülerinnen und Schüler. Das beginnt schon beim ersten Aufstellen einer Rechenaufgabe in der Grundschule. Ähnlich ist es bei der Einführung der Brüche. Dann kommt die Variable in den Klassen 7 und 8. Das ist dann die Stelle, an der die Nachhilfezahlen messbar in die Höhe schnellen. Und später natürlich der Übergang von der Schule in die Hochschule.“ Sie sagt dazu, was eine Lehrkraft dazu tun kann: „Zum einen muss mehr visualisiert werden – wir müssen die unsichtbaren Strukturen sichtbar machen. Visualisierungen ermöglichen es, und das ist der zweite Punkt, Denkprozesse zu kanalisieren. Und drittens lohnt es sich, die Sprache zu unterstützen und beispielweise Vokabeln an die Hand zu geben, damit die Lernenden auch Kompliziertes ausdrücken können.“


Buchtipp

*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Hans Magnus Enzensberger schrieb das Buch „Der Zahlenteufel – Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben“, die Geschichte des kleinen Robert, der alles hasst, was mit Mathematik zu tun hat und der dann seine Angst verliert. Robert lernt, dass die Zahlen nicht nur ein Hilfsmittel sind, um sich das Taschengeld einzuteilen, sondern auch Charakter haben. Enzensberger selbst hatte einen Lehrer, der überqualifiziert war, einen Schüler des Physikers und Mathematikers Arnold Sommerfeld, der ihn von der Mathematik überzeugt hatte, weil er sie nicht wie eine Formelsammlung vermittelt hatte, die man abfragen konnte. Nur eine richtige Lösung hinzuschreiben, ohne zu wissen, warum, reichte ihm nicht, sodass sich Enzensberger später auch so sehr ärgerte, dass seine Kinder Mathematik rein mechanisch lernen mussten, also wie man das richtige Ergebnis hat, ohne zu verstehen, warum. Um seiner Tochter die Mathematik zugänglich zu machen, schrieb er später das Zahlen-Buch, das an Aktualität nicht verloren hat und zeigt, dass Zählen und Messen nützlich und gut ist, wenn es als Versuch verstanden wird, das vielfältige Wesen der Realität zu verstehen. Kritik ist nur dort angebracht, wo Zahlen einseitig betrachtet und interpretiert werden, wo Menschen nicht richtig mit ihnen umzugehen wissen. Hans Magnus Enzensberger zählt übrigens zu den renommiertesten Schriftstellern der deutschen Literatur und hat neben seinen vielen Büchern für Erwachsene auch für Kinder und Jugendliche geschrieben.


Hinweis: Die mathematische Symbolsprache kann erschreckend und vor allem abschreckend wirken, denn für Außenstehende klingt sie vielleicht sogar unnötig kompliziert, so als wollte man sich mit unbekannten Symbolen wichtig machen oder Komplexität in Aussagen vortäuschen, die man in normalen Worten viel einfacher darstellen könnte. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, denn die Sprache der Mathematik mag nur dann verwirrend aussehen, wenn man sie nicht beherrscht, aber sobald man sie erlernt hat, wird man feststellen, dass sie die Dinge klarer und eindeutiger macht. Bei mathematischen Symbolen muss man nicht darüber diskutieren, wie sie gemeint sind, denn der Interpretationsspielraum ist im Vergleich zur normalen Sprache minimal. Damit ist die Sprache der Mathematik eigentlich das genaue Gegenteil der Sprache, die im Alltag üblicherweise verwendet wird, denn diese ist manchmal eher vage, besonders wenn man vermeiden will, sich eindeutig festzulegen. Auf diesen wesentlichen Sachverhalt sollte in jedem Mathematikunterrich am Beginn ausführlich eingegangen werden, um die Bedeutung der Symbolsprache den SchülerInnen aufzuzeigen.


Übrigens lieferte die Corona-Krise 2020 reichlich Anschauungsmaterial für die Bedeutung der Mathematik, denn weltweit fällten Regierungen Entscheidungen von enormer Tragweite für die Bevölkerung auf Grund von mathematischen Modellrechnungen über mögliche bis wahrscheinliche Entwicklungen der Corona-Pandemie. Mathematik konnte dabei buchstäblich Leben retten oder wirtschaftliche Kosten in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe verhindern. Doch sind solche Modelle imer nur eine vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit und oft mit großer Unsicherheit verbunden, d. h., auch in der Coronakrise gab es nicht das eine wahre mathematische Modell, sondern es wurden parallel zahlreiche Modellen über die Pandemie veröffentlicht. Auch wenn diese Modelle teilweise sehr unsicher waren, waren sie immer noch besser als die Alternative, Entscheidungen aufgrund von Bauchgefühlen zu treffen.

Literatur

https://www.uni-paderborn.de/nachricht/86531/ (18-03-27)
http://phzh.ch/globalassets/phzh.ch/fachbereiche/mathematik/gutermu2010b-123.pdf (15-11-12)
https://www.spektrum.de/kolumne/symbole-in-zeiten-der-pandemie/1722960 (20-04-22)
NZZ vom 21. April 2020




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