Der Übergang zwischen Primar- und Sekundarstufe ist eine maßgebliche Gelenkstelle in der Bildungsbiographie eines Kindes. Hinsichtlich der Verteilung kognitiver Fähigkeiten von SchülerInnen über Bildungsinstitutionen eines mehrgliedrigen Schulsystems finden sich in der BRD und vermutlich auch in Österreich breite Überlappungsbereiche, sodass die Zuordnung von Kindern nach der Grundschule zu unterschiedlichen Schultypen daher mit großen Fehlallokationen verbunden sein dürfte. Der Wechsel von der Grundschule in eine weiterführende Schule ist dabei ein besonders wichtiger Schritt in der Bildungskarriere von Kindern, denn diese Entscheidung kann das weitere Leben in hohem Maß prägen, da später die Chancen zu einem Schulwechsel eher klein sind und etwa für eine akademische Karriere meist nur mehr der zweite Bildungsweg bleibt.
Sind Kinder aufgrund der Schulwahl im Unterricht unterfordert, werden dabei Bildungschancen vergeben und können individuelle Talente verkümmern. Es lässt sich beobachten, dass Eltern mit akademischer Bildung ihre Kinder fast immer ins Gymnasium gehen lassen, falls diese nicht durch besonders auffälliges Verhalten wie etwa besonders schlechte Noten zeigen. Nicht-Akademiker orientieren sich bei der Schulwahl für ihre Kinder häufig am eigenen Umfeld und verstärken dadurch die Tendenz, den bestehenden sozialen Status zu perpetuieren. Oft schrecken Eltern auch vor den möglicherweise entstehenden Bildungskosten durch einen späteren Arbeitseinstieg der Kinder zurück. Akademiker kennen zudem die Anforderungen der höheren Schulen besser und wissen, dass sie schaffbar sind, zudem schätzen sie den Nutzen der Bildung wahrscheinlich auch anders ein.
Wichtig für den Wechsel von der Grundschule in eine weiterführende Schule ist auch das Zusammenspiel mit den LehrerInnen der Grundschule, der SchülerInnen am Ende der Grundschule in der Regel eine Bildungsempfehlung gibt, allerdings spielen dabei auch in ihrem Urteil soziale Faktoren eine Rolle. Die Empfehlung bei guten Noten geht zwar immer in Richtung Gymnasium, doch raten die LehrerInnen erfahrungsgemäß aber bei nur passablen Noten bei Akademikerkindern weit eher zu einer weiterführenden Schule als bei Arbeiterkindern. Offensichtlich spielt die Einschätzung, welche familiäre Unterstützung das Kind für seine weitere Bildung erhält, dabei eine Rolle.
In einer amerikanischen Studie untersuchten man die sozialen Aspekte des oft kritischen Überganges von der Grundschule auf eine weiterführende Schule, wobei sich zeigte, dass Mädchen bei der Suche nach neuen Kontakten auf Nummer sicher gehen zu wollen und sich im Gegensatz zu Knaben anfangs mit vielen Klassenkameradinnen anfreunden, auch wenn sich später herausstellt, dass es für eine tiefere Freundschaft an einer gemeinsamen Basis fehlt. Mädchen hatten daher drei Monate nach dem Wechsel unter ihren Klassenkameraden im Schnitt zwei Freundinnen, während Knaben nur einen Freund hatten. Mädchen finden in einer neuen Schule offensichtlich schneller Anschluss als Knaben, allerdings waren diese Freundschaften noch nicht besonders stabil.
Viele Kinder und Jugendliche mit einer hohen Begabung haben das Lernen bis zum Gymnasium noch nicht richtig gelernt, da ihnen in der Grundschule alles mehr oder minder zuflog. Sie mussten sich selten anstrengen und verstanden Lernmaterial oft mühelos, doch an höheren Schulen wird dies plötzlich anders. Solche begabte Underachiever erbringen schlechtere schulische Leistungen als aufgrund ihrer hohen Intelligenz zu erwarten wäre. Nicht so begabte MitschülerInnen, die sich in früheren Schuljahren etwa bestimmte Lesestrategien angeeignet haben, gehen später dann planvoller an Texte heran, überwachen etwa dabei ihren Leseprozess stärker und ergreifen, wenn nötig, Maßnahmen, um ihr Textverständnis zu verbessern, etwa indem sie schwierige Stellen noch einmal lesen oder nach weiteren Informationen sucht. Hochbegabte Underachiever tun dies vergleichsweise seltener und haben auch größere Schwierigkeiten einzuschätzen, ob sie einen Text denn nun wirklich verstanden hatten.
Mögliche Ursachen für Underachievement sind geringe motivationale Dispositionen und metakognitive Kompetenzen. In einer Studie von Tibken et al. (2021) wurde das Zusammenspiel dieser Variablen im Längsschnitt mit begabten und nicht begabten Schülern aus Deutschland (N = 341, 137 weiblich) in den Klassenstufen 6 (M = 12,02 Jahre bei t1) und 8 (M = 14,07 Jahre) untersucht. Es wurden dabei deklarative und prozedurale metakognitive Kompetenzen im Bereich des Leseverstehens erhoben. Pfadanalysen zeigten, dass die prozedurale Metakognition über die Intelligenz hinaus einen ansteigenden Effekt auf die Entwicklung der schulischen Leistungen von begabten Schülern hat. Darüber hinaus sagten die deklarative Metakognition und das Bedürfnis nach Anerkennung interaktiv die prozedurale Metakognition voraus, was ihre Wirkung auf die Schulleistung vermittelte. Hochbegabte Underachiever müssen daher erst versuchen, das Lernen zu lernen.
Siehe auch Den Übergang vom Kindergarten in die Volksschule fördern.
Literatur
Tibken, C., Richter, T., von der Linden, N., Schmiedeler, S., & Schneider, W. (2021). The role of metacognitive competences in the development of school achievement among gifted adolescents. Child Development, 00, 1–17. https://doi.org/10.1111/cdev.13640.
Uhlig, Johannes, Solga, Heike & Schupp, Jürgen (2009). Ungleiche Bildungschancen: Welche Rolle spielen Underachievement und Persönlichkeitsstruktur? Discussion Paper. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
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