Veronika Verbeek, Psychologin und Bildungswissenschaftlerin an der Internationalen Hochschule Mannheim, hat einen kritischen Aufruf zur aktuellen Kita-Pädagogik veröffentlicht. In einem Interview mit dem „Spiegel“ erläutert sie ihre Bedenken und Forderungen:
- Frühe Bindung vs. frühe Bildung:
Verbeek betont die Wichtigkeit einer stabilen Elternbindung für die gesunde Entwicklung von Kindern. Sie kritisiert, dass Kinder oft zu früh und zu lange in Kitas untergebracht werden, was zu Stress führen kann. Studien zeigen eine erhöhte Cortisolausschüttung bei Kleinkindern in Kitas, was entwicklungsschädlich sein kann. - Individuelle Bedürfnisse:
Die Professorin hebt hervor, dass manche Kinder für eine frühe Fremdbetreuung bereit sind, während andere mehr Zeit zu Hause benötigen. Sie kritisiert die gesellschaftliche und politische Suggestion, dass eine frühe Kita-Betreuung generell besser sei. - Familienpolitische Forderungen:
Verbeek fordert eine Ausweitung der Elternzeit auf zwei Jahre und betont, dass es keinen belastbaren Nachweis für langfristige Vorteile einer sehr frühen Kita-Betreuung gibt. Sie plädiert für Maßnahmen, die es Eltern ermöglichen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. - Kritik an der neuen Kita-Pädagogik:
Verbeek kritisiert den Fokus auf Selbstbildung und zu viel Freiraum in der aktuellen Kita-Pädagogik. Sie argumentiert, dass Kinder auch strukturierte Lernprozesse und Anleitung benötigen, um neue Interessen zu entwickeln und Herausforderungen zu meistern. - Überforderung durch zu viel Selbstbestimmung:
Die Wissenschaftlerin warnt, dass eine überindividualisierte Pädagogik Kinder überfordern und zu Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Sie betont die Notwendigkeit, Kindern auch Grenzen zu setzen und sie auf strukturierte Lernumgebungen vorzubereiten. - Balance zwischen Freiheit und Struktur:
Verbeek plädiert für eine ausgewogene Mischung aus selbstbestimmtem Lernen und Anleitung. Sie lehnt eine verschulte Kita-Betreuung ab, betont aber die Wichtigkeit, Kindern auch beizubringen, Hindernisse zu überwinden und Willenskraft zu entwickeln. - Kritik an der Pathologisierung:
Verbeek warnt vor einer vorschnellen Pathologisierung von Verhaltensauffälligkeiten. Sie kritisiert, dass Erziehungsprobleme oft zu schnell als psychische Störungen diagnostiziert werden, was zu unnötigem Leid und Stigmatisierung führen kann.
Insgesamt fordert Verbeek eine Rückkehr zu einer ausgewogeneren Pädagogik, die sowohl die individuellen Bedürfnisse der Kinder als auch die Notwendigkeit von Struktur und Anleitung berücksichtigt. Sie ermutigt Erzieherinnen und Erzieher, bestehende Konzepte kritisch zu hinterfragen und eine Balance zwischen Selbstbestimmung und gezielter Förderung zu finden.
Literatur
Aufruf Kita-Kindeswohl-im-Blick (2024). https://lmy.de/KXbJE.
DOI: 10.13140/RG.2.2.12882.16323
https://www.spiegel.de/panorama/bildung/kita-krise-bildungsforscherin-kritisiert-verschwendung-von-bildungspotenzialen-der-kinder-a-9bd2ca0c-52ff-48f3-b3b1-869ded5f98e3 (24-10-07)
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