Wie bei allen Lebewesen findet auch beim Menschen natürliches Lernen als Anpassung an die Umwelt statt, als Adaption, denn wenn diese mit bestimmten, sich immer wieder verändernden Verhältnissen in ihrer Umwelt konfrontiert werden, nehmen sie diese Verhältnisse wahr, interpretieren sie und vergleichen sie mit ihrem bereits bestehenden Wissen über diese Vorgänge und deren Auswirkungen. Ist das Resultat dieses Wahrnehmungsprozesses eine Übereinstimmung mit bereits bestehenden Wissensschemata, werden diese Schemata verfestigt, das Wahrgenommene wird in das bestehende Schema assimiliert. Scheint aber eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmungsergebnis und bestehenden Wissensschemata auf, passiert häufig eine Akkomodation, d. h., bestehende Wissensschemata werden verändert, an die reale Umweltsituation angepasst oder auch die Wahrnehmung wird uminterpretiert, damit sie in das bestehende Schema passt.
Schulisches Lernen hingegen ist nicht biologisch natürliches Lernen, da es in einem Kontext stattfindet, der nicht unmittelbar mit den natürlichen Wissensschemata zu tun hat, sondern schulisches Lernen ist sozusagen ein Lernen auf Vorrat, ein antizipierendes Lernen. Wissens- und Handlungsschemata, die für das Agieren in bestimmten Situationen vorhanden sein müssen, werden nicht in der realen Situation gebildet, sondern werden im Voraus durch inszeniertes Lernen gebildet. Es wird also in der Schule versucht, durch bestimmte Verfahren den Lernenden zu ermöglichen, Wissensschemata aufzubauen, die dann im Ernstfall angemessen abgerufen werden können. Durch dieses Lernen auf Vorrat konnte sich der Mensch einen gewissen Evolutionsvorteil verschaffen, indem die Adaption nicht mehr laufend in der Auseinandersetzung mit realen Umweltsituationen geschehen muss, sondern auch durch im Voraus gelernte Verhaltensstrategien bewältigt werden kann.
Da schulisches Lernen also ein inszeniertes und nicht ein natürliches Lernen ist, müssen gewisse Regeln beachtet werden, damit die Inszenierung erfolgreich ist, damit die beim Lernen auf Vorrat gebildeten Wissens- und Handlungsschemata später in einer realen Lebenssituation erfolgreich angewendet werden können. Das Regelwerk für das schulische Lernen heißt Didaktik, denn die Didaktik ist die Theorie und die davon abgeleitete Praxis des Lehrens und Lernens, wobei Menschen, die beauftragt sind, schulisches Lehren zu inszenieren, bei der Vorbereitung und Durchführung von schulischem Lehren und Lernen dieses Regelwerk konsultieren müssen, woraus sich sowohl die Entscheidung für das grundlegende didaktische Setting als auch für die einzelnen Lehr- und Lernschritte ergeben.
Didaktisches Design ist in der Regel die Anwendung lernpsychologischer Erkenntnisse zur Optimierung des schulischen, also inszenierten Lehren und Lernens, wobei für dieses inszenierte Lernen neun Aspekte zu beachten sind:
- Die Aufmerksamkeit der Lernenden wecken.
- Die Lernenden über die Lernziele orientieren.
- Das Vorwissen der Lernenden aktivieren.
- Klare, eindeutige und unverwechselbare Vermittlung der Inhalte.
- Die Lernenden während der Lernphase anleiten und unterstützen.
- Lernfortschritte herausstellen.
- Rückmeldung geben.
- Die Leistung objektiv beurteilen.
- Transfer und Behalten fördern, etwa durch Übungen.
Wenn man sich diese beiden Formen des Lernens vor Augen hält, wird deutlich, dass das Lernen im aktuellen, traditionellen Schulsystem ab einer bestimmten Grundbildung (Lesen, Schreiben, Rechnen) praktisch und theoretisch kaum mehr funktionieren wird, denn die Anforderungen einer komplexen Welt sind nicht mehr mit auf Vorrat erworbenem Wissen zu bewältigen. Eine Möglichkeit aus diesem Dilemma herauszukommen, ist die Fokussierung des schulischen Lehrens auf die Vermittlung von Problemlösungskompetenzen, die die Lernenden befähigen könnten, ihren Alltag zu bewältigen. Dazu ist es notwendig, die heutige Lebenswelt in die Schule herein zu holen, in gewissem Sinne den Schonraum Schule zu verlassen, der noch in den Köpfen mancher herumzuspuken scheint.
Siehe dazu Wie kindgerecht sind unsere Schulen?
Literatur
Vontobel, P. (2006). Didaktisches Design aus lernpsychologischer Sicht. Pädagogische Hochschule Zürich.
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