Nach Sabine Seichter, die sich mit der Geschichte und Theorie von Erziehung und Bildung auseinandersetzt, ist das Kind ist im Laufe der Geschichte der Kindheit zur Ware geworden. Sie schreibt provokativ:
„Zum Produkt von Ökonomie, Wirtschaft, Medizin und – nicht zuletzt – von Erziehung. Durch wirtschaftliche, technologische und pädagogische Fabrikation ist das Kind in den letzten Jahrhunderten, Jahrzehnten und fortschreitend bis auf den heutigen Tag erfolgreich zur standardisierten Marke »Kind« gestanzt worden. Indem das Kind in diesem Herstellungsprozess zunehmend den Charakter einer Ware angenommen hat, liegt es uns heute, zumindest tendenziell, als ein von außen produziertes Etwas vor. Dieses Etwas wurde durch den langen Prozess der modernen und postmodernen Zivilisation und durch das Geschäft einer zunehmend professionalisierten Erziehung für fremde, in Sonderheit gesellschaftliche Zwecke brauchbar gemacht und immer mehr instrumentalisiert. So fortschrittlich dieser warenförmige Herstellungsprozess auch erscheinen mag, wurden dem Kind dadurch immer mehr Möglichkeiten selbstständigen und kreativen Handelns versperrt. Zugespitzt ließe sich sagen: Um eines sozial und wirtschaftlich erwünschten Ertrages willen wurde das Kind in den Zustand gelähmter Passivität versetzt, um von seinen Machern von außen geformt und am Ende gleichsam neu »erschaffen« zu werden. Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum würde hier treffend von einer »Verdinglichung« des Humanen sprechen. Für den gewünschten Output wurde die herzustellende Ware im Fortgang des biologischen Wachstums vermessen, gesellschaftlich kontrolliert und, wenn nötig, aussortiert und im schlimmsten Falle zur Mangel- oder Fehlerware abgestempelt, aus dem Handel genommen und »verramscht«. Sein gesellschaftlicher Marktwert taxiert sich nach bestandener Qualitätsprüfung. Diese erfolgt, den Gesetzen des neoliberalen Marktes folgend, in standardisierter und objektivierter Form. Ziel der Herstellung ist das »normale« Kind. Im internationalen Vergleich und auf einem globalisierten Markt kann nur eine perfekte, fehlerfreie Ware bestehen; anders wird sie ausgelesen und ausgetauscht. Für die Verfertigung seines Warencharakters musste das Kind vor allem in speziellen Räumen eingefasst und diszipliniert werden. Dabei wurde nicht selten seine Individualität geringgeschätzt oder gar missachtet. Die Ware Kind wurde zusehends zu einem funktionalisierten und mechanisierten Teil eines funktionalisierten mechanischen (Erziehungs-)Systems. Dieses System ist dafür verantwortlich, dass die produzierte Ware schön, robust, langlebig, wertbeständig, resilient und funktional ist. Damit sich dieser Erfolg einstellt, wurden die Maschinen aufwendig und technisch versiert programmiert und gesteuert, immer mit dem Ziel, Störungen zu verhindern und Drop-outs zu vermeiden. Die Perfektionierung der Ware, was ihre äußere Form und die innere Funktion betreffen, ist Maßstab aller Herstellung. Postmodernen transhumanistischen Perspektiven geschuldet ist dabei die Vision, dass der erziehungstechnische Fortschritt am Ende zu einer »Selbstmaschinisierung« des Kindes führe, sich die Grenzen zwischen Maschine und Mensch aufhöben und Erziehung sich schließlich selbst abschaffe. Das »normale« Kind braucht nicht mehr erzogen zu werden, wenn es bereits als »normales« Kind erzeugt, hergestellt und geboren wird.“
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