Die Angst vor Mathematik ähnelt manchmal der Gottesfurcht.
Jaromir Konecny
Das Rechnen mit Unbekannten in Gleichungen, also die Algebra, stellte schon viele Schülergenerationen vor große Herausforderungen, denn es fällt vielen Menschen in allen Ausbildungsphasen schwer, abstrakte Algebra-Konzepte wie Gleichungen und Variablen nachzuvollziehen und anzuwenden. Die Arbeitsgruppe „Didaktik in der Mathematik“ der Universität Bremen beschäftigt sich mit der Wissenschaft vom Lehren und Lernen von Mathematik, darunter mit Lehrmethoden und dem Lernverhalten von Schülern. In dem Projekt „Multimodal Algebra Lernen“ werden unter der Leitung des Technologie-Zentrums Informatik und Informationstechnik neueste Erkenntnisse aus der Mathedidaktik mit technischen Lösungen zusammengebracht, um Schülern und Lehrern künftig Lernen und Lehren zu erleichtern und die Algebra intuitiver zu verstehen, denn auch für Lehrkräfte ist es oft schwierig, den abstrakten Stoff zu vermitteln. Die Algebra spielt dabei eine zentrale Rolle in der Bildung, denn alles, was ab der achten Klasse in Mathematik gelehrt wird, ist algebraisch unterlegt.
Die ForscherInnen wollen deshalb bis 2019 ein Lernsystem entwickeln, das die Algebra interaktiv und mit dem Körper erfahrbar vermittelt. Damit sollen Schüler nicht nur mit dem Kopf lernen, sondern auch, indem sie fühlen, sehen und hören. Bestehen soll es aus „Smart Objects“, berührbaren Lernelementen, die zum Beispiel Zahlen oder Variablen darstellen und mit Informationstechnologie ausgestattet sind. Ein Ton- oder Lichtsignal zeigt den Schülern an, ob sie auf der richtigen Spur sind. Interaktive Tische mit Displays und Tablet-PCs könnten die „intelligenten Objekte“ ergänzen. Dabei geht es nicht um klassisches E-Learning, sondern um die Nutzung möglichst vieler Sinne, die das Lernen unterstützen. Indem das System Lösungswege und Geschwindigkeit analysiert, soll es automatisch den Wissensstand der Anwender erkennen können und so individuelles Lernen ermöglichen, wobei die Übungen spielerisch gestaltet werden, um die Schüler zu motivieren. Ein relativ junges Feld ist dabei das Experimentieren mit Gesten beim Lernen, denn die Forschung in der Didaktik zeigt zunehmend, wie wichtig Gesten für das Verständnis der Mathematik sein können. Ein einfaches Beispiel ist etwa das Anzeigen von prozentualen Verhältnissen mit den Händen, d. h., mit Gesten versteht man manchmal schon Dinge, die dem Kopf noch gar nicht bewusst sind.
Auch nicht-numerischen Basiskompetenzen sollten früh gefördert werden
Damit Kinder später keine Probleme in Mathematik bekommen, sollte schon im Kindergarten eine altersgemäße kognitive Entwicklung gefördert werden, wobei neben den mathematischen Kompetenzen auch eine Entwicklung der nicht-numerischen Basiskompetenzen wichtig ist. Dazu zählen grundlegende Fähigkeiten wie etwa das Gedächtnis, die akustische und visuelle Wahrnehmung, das Konzentrationsvermögen und die Raumorientierung. Studien zeigen, dass die nicht-numerischen Basiskompetenzen eng mit den grundsätzlichen mathematischen Fähigkeiten zusammenhängen, denn das isolierte Üben mathematischer Kompetenzen ist wenig förderlich, wenn nicht gleichzeitig auch Übungen zur Raumorientierung gemacht werden. Wenn man Kinder schon früh mit Mengen, Formen und Zahlen umgehen lässt, dann fällt es ihnen nicht schwer, ein Verständnis für Logik, Geometrie und abstraktes, mathematisches Denken zu entwickeln.
Die klassischen Verständnisproblemen in der Mathematik auf verschiedenen Schulstufen
Michael Gaidoschik von der Freien Universität Bozen beschäftigt sich mit der Fachdidaktik der Mathematik, vor allem an der Grundschule und im Kindergarten. Er sagt anlässlich eines Interviews auf die Frage „Welchen Ratschlag können Sie Eltern, Kindern und LehrerInnen geben, damit das Mathe lernen leichter fällt?„: „Ich zucke immer zusammen, wenn ich höre, dass jemand Kindern Mathematik beibringen will. Gerade im Bereich Mathematik ist wichtig, dass Erwachsene Kindern erst einmal zuhören und sich darüber klarwerden, was die sich selbst schon für schlaue Gedanken machen. Diese kann man dann fördern. Das Allerwichtigste ist es, gute Aufgaben zu stellen, gute Fragen, gerade im Kindergarten auch, Spiele vorzuschlagen, die Potenzial für mathematische Entdeckungen haben. Bei diesen kann man die Kinder dann unterstützen, Lösungen zu finden. Aber Mathematik muss man verstehen, und das tut man dann am besten, wenn Lösungen selbst entdeckt, und nicht, wenn man vorgegebene Denkweisen nachlernen muss.“
Susanne Prediger vom Institut für Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts an der Technischen Universität Dortmund sagt in einem Interview anlässlich eines Mathematikerkongresses an der Universität Paderborn zu den klassischen Verständnisproblemen in der Mathematik auf verschiedenen Schulstufen: „Die Probleme sind strukturell ganz ähnlich. Oft werden aber die sprachlichen Voraussetzungen unterschätzt, was dazu führt, dass wir einige Lernende abhängen. Diese Hürden gibt es sogar bis hin in die Universitäten. Aber: An jeder Stelle, an der die Mathematik einen Abstraktionsschub macht, verlieren wir Schülerinnen und Schüler. Das beginnt schon beim ersten Aufstellen einer Rechenaufgabe in der Grundschule. Ähnlich ist es bei der Einführung der Brüche. Dann kommt die Variable in den Klassen 7 und 8. Das ist dann die Stelle, an der die Nachhilfezahlen messbar in die Höhe schnellen. Und später natürlich der Übergang von der Schule in die Hochschule.“ Sie sagt dazu, was eine Lehrkraft dazu tun kann: „Zum einen muss mehr visualisiert werden – wir müssen die unsichtbaren Strukturen sichtbar machen. Visualisierungen ermöglichen es, und das ist der zweite Punkt, Denkprozesse zu kanalisieren. Und drittens lohnt es sich, die Sprache zu unterstützen und beispielweise Vokabeln an die Hand zu geben, damit die Lernenden auch Kompliziertes ausdrücken können.“
Faszination der Mathematik
In einem Internetartikel schwärmt ein Mathematikstudent von Primzahlen: “Primzahlen sind ein großer Teil unseres Alltags, sie sind wichtig für Verschlüsselung. Aber sie sind auch an sich so schön, so außergewöhnlich, sie sind einzigartig im Vergleich zu den anderen Zahlen, weil sie ja nur durch eins und sich selbst teilbar sind, das ist das besondere an Primzahlen.” Und dass es von denen unendlich viele gibt, kann er mal eben aus dem Stegreif beweisen: “Angenommen wir haben nur endlich viele Primzahlen, dann kann ich die alle miteinander multiplizieren und die Zahl die dabei raus kommt, ist durch jede der Primzahlen teilbar, weil ich habe sie ja alle miteinander multipliziert und wenn ich dieses Produkt plus eins rechne, ist die Zahl durch keine der Primzahlen mehr teilbar, von denen wir angenommen haben, dass es nur endlich viele gibt, das heißt sie ist selber schon wieder eine Primzahl.”
Link: www.math.uni-bremen.de/didaktik
Buchtipp
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Hans Magnus Enzensberger schrieb das Buch „Der Zahlenteufel – Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben“, die Geschichte des kleinen Robert, der alles hasst, was mit Mathematik zu tun hat und der dann seine Angst verliert. Robert lernt, dass die Zahlen nicht nur ein Hilfsmittel sind, um sich das Taschengeld einzuteilen, sondern auch Charakter haben. Enzensberger selbst hatte einen Lehrer, der überqualifiziert war, einen Schüler des Physikers und Mathematikers Arnold Sommerfeld, der ihn von der Mathematik überzeugt hatte, weil er sie nicht wie eine Formelsammlung vermittelt hatte, die man abfragen konnte. Nur eine richtige Lösung hinzuschreiben, ohne zu wissen, warum, reichte ihm nicht, sodass sich Enzensberger später auch so sehr ärgerte, dass seine Kinder Mathematik rein mechanisch lernen mussten, also wie man das richtige Ergebnis hat, ohne zu verstehen, warum. Um seiner Tochter die Mathematik zugänglich zu machen, schrieb er später das Zahlen-Buch, das an Aktualität nicht verloren hat und zeigt, dass Zählen und Messen nützlich und gut ist, wenn es als Versuch verstanden wird, das vielfältige Wesen der Realität zu verstehen. Kritik ist nur dort angebracht, wo Zahlen einseitig betrachtet und interpretiert werden, wo Menschen nicht richtig mit ihnen umzugehen wissen. Hans Magnus Enzensberger zählt übrigens zu den renommiertesten Schriftstellern der deutschen Literatur und hat neben seinen vielen Büchern für Erwachsene auch für Kinder und Jugendliche geschrieben.
Literatur
https://www.uni-paderborn.de/nachricht/86531/ (18-03-27)
https://www.salto.bz/de/article/17102018/mathe-ist-wie-musik (18-10-18)
https://www.deutschlandfunk.de/faszination-fuer-mathematik-primzahlen-sind-ein-grosser.680.de.html?dram:article_id=443519 (19.03-16)
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Übrigens gibt es an vielen Universitäten vor allem in Mathematik Brückenkurse zum Einstieg ins Studium. Die Erfahrungen zeigen nämlich, dass Studierende im ersten Semester sehr unterschiedliche Vorkenntnisse in den naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern haben. Trainiert werden formale Techniken der elementaren Grundkenntnisse, mit denen sich das Studium entspannter beginnen lässt, wobei sich die Mathematik-Kurse an Studienanfänger/-innen aller Fachrichtungen richten, wobei meist technische Studiengänge im Fokus stehen.