Es gibt drei unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen, wobei das klassische Modell ein Verteilungsgerechtigkeitsmodell ist, das die Schule oder das Bildungssystem dann für gerecht erklärt, wenn es allen Kindern und Jugendlichen optimale Chancen vermittelt und gerecht die weiteren Chancen im Leben verteilt. Dies ist das traditionelle meritokratische Modell, das Ungleichheit dann für gerechtfertigt hält, wenn diese Unterschiede auf Leistungsunterschieden beruht, allerdings mit der Einschränkung, dass diese Leistungsunterschiede legitim sein müssen, d. h., Begabung und Talent, Motivation und Anstrengung können bessere Leistungen begründen, und wenn jemand mehr leistet, darf er nach unseren Vorstellungen auch mehr verdienen, einen höheren sozialen Status haben usw.
Das aktuelle Bildungssystem hat sich auf die Vorstellung der Teilhabegerechtigkeit umgestellt, bei dem ein Bildungssystem dann gerecht ist, wenn es praktisch allen die Teilhabe am späteren nachschulischen Leben ermöglicht. Das Problem ist, wenn man dafür keine Mindeststandards in den Bildungsstandards formuliert, sondern Regelstandards. Allerdings zeigt keine Untersuchung, dass das Erreichen bestimmbarer Mindeststandards zu substanziell mehr Lebenschancen im späteren Erwachsenenleben führt, sodass etwa funktionaler Analphabetismus ein Ausschlusskriterium für gute Teilhabe ist. Besser wäre es, wenn man sich darauf verständigte, dass man begründet vom Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit auf das Prinzip der Teilhabegerechtigkeit umsteuert, was für die Ressourcenverteilung unmittelbare Konsequenzen hätte. Dafür müsste man allerdings noch mehr Ressourcen in den gesamten kompensatorischen Bereich stecken, also Sprachförderung ausbauen, möglicherweise auch Inklusion neu konzipieren, um Kindern mit besonders ungünstigen Lernvoraussetzungen wirklich Anschlüsse jenseits der Schulzeit zu ermöglichen.
Das dritte Modell ist die Anerkennungsgerechtigkeit, bei dem ein Bildungssystem dann als gerecht angesehen wird, wenn es Schülerinnen und Schülern im Laufe der Schulzeit die maximale Anerkennung und Wertschätzung vermitteln kann. Die Idee dahinter ist, dass durch die Steigerung von Selbstwertgefühl und positiven Selbstkonzepten auf Schülerseite, durch Respekt und Empathie im Verhältnis von Lehrkräften zu Lernenden gute Bildung und gute Leistungen von selbst folgen.
Quelle
Aus einem Interview mit dem Psychologen Hans Anand Pant (Berliner Humboldt-Universität) zum Thema „Was ist in der Bildung eigentlich gerecht?“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. April 2023.
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