Die frühkindliche Entwicklung ist stark von der Eltern-Kind-Beziehung geprägt, wobei es ein Zusammenspiel von biologisch verankerten Fähigkeiten gibt, die sowohl beim Säugling als auch bei den Eltern angelegt sind, und sich im besten Fall optimal ergänzen. Solche intuitiven Verhaltensbereitschaften werden nicht nur von Müttern und Vätern, sondern auch von anderen Bezugspersonen und KinderbetreuerInnen verlangt, wobei die Entwicklungspsychologie zeigen kann, wie diese angelegten Verhaltensweisen von Eltern, Gleichaltrigen und LehrerInnen wahrgenommen werden können.
Bindung kann man als die konkrete Manifestation sozialer Emotionsregulationsmuster, basierend auf einem postulierten Bindungsverhaltenssyystem definieren (vgl. Bowlbly, 1969), das in Situationen aktiviert wird, in denen ein Mensch eine negative Erfahrung macht und diese nicht selbst regulieren kann. Dies kann unter anderem Angst, Trauer und dergleichen sein, wodurch die biologische Voreinstellung darauf abzielt, bei vertrauten Personen Schutz und Harmonie zu suchen.
Das Familienleben wird durch Bindung und Erziehung geprägt und diese beiden Faktoren haben eine langfristige Auswirkung auf die Persönlichkeit (vgl. Spangler & Zimmermann, 1999) und das soziale Verhalten in der Gesellschaft. Es gibt selten Untersuchungen, die die Wechselwirkung von Bindung und Erziehung genauer betrachten. Es ist jedoch unumstritten, dass das elterliche Fürsorgeverhalten (vgl. Rothbaum & Weisz, 1994) ein essentieller Einflussfaktor für die Entwicklung einer mehr oder weniger guten Bindungsqualität bei Kindern ist. Aber nicht nur diese Effekte sind relevant, vielmehr sind Anerkennung, Motivationsstrategien, Zwang und Einschränkung von Bedeutung (vgl. Rothbaum & Weisz, 1994).
Aus transaktionaler Perspektive ist die Effektivität von Erziehung durch die Bindungsqualität des Kindes zu Vater oder Mutter beeinflusst. Daraus resultiert, dass eine sicher Bindung die Grundlage für eine effektive Erziehung unterstützt. Es muss jedoch erwähnt werden, dass gewisse Maßnahmen nicht bei allen Familien die gleichen Resultate
erzielen. Nun stellt sich die Frage, welche Erziehungsmaßnahmen in welchem Alter angebracht sind. Der Entwicklungsmathematik nach sind im ersten Lebensjahr der Aufbau körperlicher Basisregulation und Bindung die herrschenden Themen (vgl. Sroufe, 1979; Zimmermann & Spangler, 2001). Elterliches Fürsorgeverhalten ist in dieser Phase ein wichtiger Erziehungsaspekt und der Aufbau von Bindung ist unerlässlich. Studien zeigen, dass sich die Internalisierung von Regeln im Alter zwischen 14 und 45 Monaten vor allem in Verbotssituationen ausprägen.
Wird ein Kind emotional zurückgewiesen, führt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer ineffektiven Bindungsqualität, welche durch eine negative soziale Emotionsregulation charakterisiert ist. Grund hierfür ist, dass trotz Bezugsperson- Nähe keine Beruhigung- aufgrund von Angst, Trauer oder einem Aufenthalt im Krankenhaus) erreicht wird und keine Bereitschaft zur Exploration beim Kind auftritt (vgl. Grossmann et al., 2003). Es sind jedoch nicht nur die elterlichen Faktoren von Bedeutung, sondern auch viele andere, die bereits im Neugeborenenalter beobachtet werden können (vgl .Spangler, 1995; Spangler, Fremmer-Bombik & Grossmann, 1996). Ungeklärt ist bisher jedoch, welche anderen elterllichen Verhaltensweisen einem Kind Sicherheit und Geborgenheit vermitteln (vgl . Cummings & Cummings, 2001). Untersuchungen zeigen einen positiven Zusammenhang zur Fähigkeit zur Perspektivübernahme sowie zum Einbezug der Wünsche und Bedürfnisse des Kindes (vgl. Bernier & Dozier, 2003). Hauptsächlich ist der Effekt der Bindungsorganisation bei negativen Emotionen zu merken (vgl. Zimmermann, Maier, Winter & Grossmann, 2001).
Der Begriff der Erziehung ist heterogen (Fuhrer, 2005) und umfasst verschiedene Dimensionen elterlichen Erziehungsverhaltens (vgl .Rothbaum & Weisz, 1994; Barber, Stolz & Olson, 2005). Hierzu gehört ebenso wie die Vermittlung von Regeln die Kontrolle der Einhaltung, die Förderung von Autonomie und Kompetenzen. Gewisse Erziehungseffekte sind jedoch nicht zu verallgemeinern, sondern variieren nach Erziehungsperson oder Art der statistischen Erfassung (Beobachtung, Fragebogen) (vgl. Krohne & Hock, 1994). Krohne und Bogner (1981) zeigen auf, dass die Wirkung elterlicher Erziehung vom Alter des Kindes abhängt. Die Wirkung der elterlichen Strenge ist ebenso vom Alter des Kindes abhängig, einmal wirkt diese förderlich, einmal nicht.
Bindung und Erziehung: Gleich oder ergänzend?
Die Bindungsqualität eines Kindes ist das Ergebnis des elterlichen Erziehungsverhaltens. Die Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci (2000) integriert Bindung, Autonomie und Kompetenz und besagt, dass die Förderung dieser drei Komponenten zu hoher Selbstwirksamkeit und Wohlbefinden führt. Festzustellen ist jedoch, dass die Akzeptanz und Förderung von Autonomie ein Ergebnis einer sicheren Mutter- Jugendlichen- Beziehung ist ( vgl .Rothbaum & Weisz, 1994; Barber, Stolz & Olson, 2005). Es kann beobachtet werden, dass Jugendliche mit unsicherer Beziehungsqualität und unfeinfühligen Eltern sich stark von ihren Müttern abnabeln wollen. Die Unterstützung von Autonomie und Kompetenz durch den Vater erweist sich als unabhängig. Die Studie belegt, dass Bindung und Erziehung für diese Altersstufe unter Berücksichtigung der Stichprobe als sich ergänzende Beziehungsfaktoren zu verstehen sind.
Wie Väter ihre Töchter prägen
Die Vater-Tochter-Beziehungen sind meist weniger aggressiv besetzt als Vater-Sohn-Beziehungen, denn Väter stellen an Töchter geringere Anforderungen und haben ihnen gegenüber mehr Geduld. Väter ermutigen ihre Töchter bei Herausforderungen und fördern ihre Selbstständigkeit, wobei sie z. B. auch anders mit ihnen spielen, mehr mit ihnen herumbalgen und ihnen mehr zutrauen als deren Mütter. Sie befriedigen mit der Tochter häufig eigene narzisstische Bedürfnisse, wobei Töchter lange an der Idealisierung des Vaters festhalten, seine Nähe suchen und sich schwerer von ihm als Söhne ablösen können. Väter beeinflussen also ihre Töchter tendenziell stärker als ihre Söhne, sodass eine gute Beziehung von Vater und Tochter besonders stark mit deren Selbstwertgefühl und ihrem späteren beruflichen Erfolg verbunden ist.
Väter genießen oft diese Idealisierungen und laufen Gefahr, die Töchter durch übermäßige emotionale Zuwendung an sich zu binden. Vater und Tochter stehen jedoch vor der Entwicklungsaufgabe, die Ablösung zu bewältigen, damit die Tochter zu ihrer Autonomie kommen kann, was erleichtert wird, wenn sich die Tochter mit der Mutter identifizieren kann. Die Bedeutung der Vater-Tochter-Beziehung wird von Julia Onken eindrücklich geschildert, denn sie beschreibt in diesem Zusammenhang plakativ drei Tochter-Typen: Die Gefalltochter, die Leistungstochter und die Trotztochter. Alle drei haben das gleich Ziel, nämlich die Aufmerksamkeit und die Liebe des Vaters zu erreichen. Dennoch verfügen Männer und Frauen letztlich über dieselben Kompetenzen in der Erziehung, wobei es vor allem darum geht, die Tochter in der Erziehung mit männlich konnotierten Eigenschaften zu konfrontieren.
Väter haben auch einen besonders großen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Töchter – weniger auf die Söhne -, wobei es nicht unbedingt darauf ankommt, welchen konkreten Beruf der Vater selbst ausübt. Vor allem sein allgemeines Verhalten spielt eine bedeutende Rolle, also wenn Väter etwa eine gleichwertigere Aufteilung der Haushaltsaufgaben praktizieren, zeigen vor allem Töchter ein größeres Interesse an einer Tätigkeit außer Haus und an einem weniger stereotypen Frauenberuf. Nach Croft et al. (2014) sagten die impliziten Geschlechterrollenassoziationen der Väter die beruflichen Präferenzen der Töchter (nicht aber die der Söhne) voraus.
Literatur
Bowbly, J. (1969). Attachment and loss, Vol .1: Attachment. New York: Basic Books.
Croft, Alyssa, Schmader, Toni, Block, Katharina & Baron, Andrew (2014). The Second Shift Reflected in the Second Generation: Do Parents‘ Gender Roles at Home Predict Children’s Aspirations?Psychological science, 25, doi: 10.1177/0956797614533968.
Spangler, G. & Zimmermann, P. (1999). Bindung und Anpassung im Lebenslauf; Erklärungsansätze und empirische Grundlagen für Entwicklungsprognosen. In R. Oerter, G. Röper, C. Von Hagen & G. Noam (Hrsg.), Lehrbuch der klinischen Entwicklungspsychologie (S.171-194). Weinheim: Psychologie Verlags Union.
Rothbaum, F. & Weisz J.R. (1994). Parental caregivingand child externalizing behavior in nonclinical samples: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 55, 68-78.
Sroufe, L.A. (1979). The coherence of individual development: Early care, attachment, and subsequent develpoment issues. American Psychologist, 34. 834-841.
Zimmermann, P. & Spangler, G. (2001). Jenseits des Klassenzimmers- Familiäre Einflüsse auf Intelligenz, Emotion, Motivation und Leistung. Zeitschrift für Pädagogik, 47, 461-479.
Grossmann, K.E, Grossmann, K., Kinderl H., Scheuerer-Englsich, H., Spangler G., Stöcker, K., Suess, G. & Zimmermann, P. (2003). Die Bindungstheorie: Modell, entwicklungspsychologische Forschung und Ergebnisse. In H. Keller (Hrsg.), Handbuch der Kleinkindforschung. Göttingen: Hogrefe.
Spangler, G. (1995). Die Rolle kindlicher Verhaltensdispositionen für die Bindungsentwicklung. In G. Spangler & P. Zimmermann (Hrsg.) Die Bindungstheorie. (S. 178-190). Stuttgart: Klett-Cotta.
Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Psychologische Neuigkeiten für Pädagogen :::