Beim Erwerb des Schreibens in der deutschen Sprache eignen sich Grundschulkinder in der Regel zwei Hauptstrategien an, die oft als „alphabetisch“ und „orthographisch“ bezeichnet werden.
Die erste Strategie ist die Phonemorientierung. Hierbei wird das Wort Laut für Laut aufgeschrieben, was in der Regel im 2. Schuljahr erlernt und beherrscht wird. Diese Methode folgt der Logik, dass jedem Laut ein entsprechendes Graphem zugeordnet wird. Die alphabetische Strategie basiert also auf der Zuordnung von Buchstaben zu Lauten (Graphem-Phonem-Korrespondenz). Kinder lernen, Wörter zu buchstabieren, indem sie die einzelnen Laute des Wortes identifizieren und den entsprechenden Buchstaben zuordnen. Diese Strategie ist besonders wichtig in den frühen Phasen des Schriftspracherwerbs, wenn Kinder noch nicht über ein ausreichendes orthographisches Wissen verfügen (Frith, 1985).
Die zweite Strategie betrifft die lexikalischen, also wortbezogenen Schreibweisen. Die orthographische Strategie beinhaltet das Wissen über die Rechtschreibregeln und die Struktur der deutschen Sprache. Kinder lernen, Wörter anhand ihrer orthographischen Repräsentation zu erkennen und zu schreiben. Diese Strategie ist besonders wichtig für das korrekte Schreiben von Wörtern, die nicht eindeutig der Lautung entsprechen (z. B. „Haus“ vs. „Maus“) (Ehlich, 2005). Dazu gehören also sowohl Wörter mit Schreibungen, die nicht der vorherrschenden Laut-Buchstaben-Zuordnung folgen, wie beispielsweise „Vogel“ mit „v“ statt „f“, als auch Wörter, bei denen die Schreibweise Rückschlüsse auf die Verwandtschaft mit anderen Wörtern zulässt, etwa „Hand“ mit „d“ trotz der Aussprache als /t/, da es sich auf „Hände“ oder „handeln“ bezieht. Diese wortspezifischen Schreibweisen werden im Laufe der Grundschulzeit weitestgehend erlernt.
Hinzu kommt noch eine dritte Strategie, nämlich die Großschreibung, die in der Grundschule jedoch erst ansatzweise erworben wird.
Es ist unter Forschenden umstritten, wie sich die Phonemorientierung und die lexikalischen Schreibweisen zueinander verhalten, sowohl in struktureller als auch in zeitlicher Hinsicht.
Insgesamt zeigt sich, dass der Schriftspracherwerb im Deutschen ein komplexer Prozess ist, bei dem Kinder verschiedene Strategien und Prinzipien erlernen müssen, bevor sie die Orthographie komplett beherrschen.
Eine kindgerechte Erläuterung dieser Strategien
Stell dir vor, du bist ein Detektiv, der ein Geheimnis lösen will. Das Geheimnis ist, wie man Wörter richtig schreibt!
Die zwei Detektive: Alphabetisch und Orthographisch
- Detektiv Alphabetisch: Dieser Detektiv ist super in Buchstaben. Er weiß, wie jeder Buchstabe klingt und wie man Wörter buchstabiert. Er ist wie ein Zauberer, der jedes Wort in Buchstaben zerlegen kann.
- Detektiv Orthographisch: Diese Detektivin ist eine Expertin für die Rechtschreibung. Sie kennt die Regeln, wie Wörter geschrieben werden, auch wenn sie nicht genauso klingen, wie man sie spricht. Sie ist wie eine Sprach-Polizei, die aufpasst, dass alle Wörter richtig geschrieben sind.
Zusammen sind sie unschlagbar
Grundschulkinder, die das Schreiben lernen, sind wie kleine Detektive. Sie benutzen beide Strategien, um herauszufinden, wie man Wörter richtig schreibt:
- Zuerst hören sie genau hin, wie ein Wort klingt, und überlegen, welche Buchstaben passen könnten (Detektiv Alphabetisch).
- Dann schauen sie, ob das Wort auch nach den Rechtschreibregeln richtig ist (Detektiv Orthographisch).
Manchmal ist es gar nicht so einfach, Wörter richtig zu schreiben. Aber mit etwas Übung und Geduld werden die kleinen Detektive immer besser darin, die Geheimnisse der deutschen Sprache zu lösen!
Literatur
Ehlich, K. (2005). Orthographische Kompetenz. In G. Augst & K. Blüml (Hrsg.), Deutsche Grammatik (S. 457-482). Heidelberg: Winter.
Frith, U. (1985). Beneath the surface of surface dyslexia. In K. E. Patterson, J. C. Marshall, & M. Coltheart (Hrsg.), Surface dyslexia: Neuropsychological and cognitive studies of phonological reading (S. 301-330). 1 London: Lawrence Erlbaum Associates Publishers. Günther, H. (2006). Schriftspracherwerb. In G. W. Reis & H. G. Holtmann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 387-412). Weinheim: Beltz.
Valtin, R. (2009). Entwicklung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten. In W. Schneider (Hrsg.), Handbuch der Entwicklungspsychologie (S. 475-502). Göttingen: Hogrefe.
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