Claudia Crotti
Ist der Bildungserfolg bzw. -misserfolg eine Geschlechterfrage?
Die drei Phasen von ‚Bildung und Geschlecht’
Aufgrund mangelhafter Bildungsbeteilung der Mädchen in den 1960erJahren wird die erste Phase im Bildungswesen eingeläutet. Ziel dieser ‚politischen Phase’ ist es, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen (koeduzierter Unterricht). Diese Gemeinschaftserziehung von Jungen und Mädchen wird in der zweiten Phase hinterfragt. Kompensatorische Maßnahmen wurden in den 1980erJahren der formalen Gleichstellung im Bildungswesen beigestellt und sollten der erkannten Benachteiligung der Mädchen entgegenarbeiten. In der dritten Phase in den 1990erJahren geriet wiederum diese Maßnahme in die Kritik und führte dazu, dass man sich vermehrt mit dem anderen, dem männlichen Geschlecht, beschäftigte. Diese reflexive Koedukation sollte Mädchen und Jungen gleichermaßen berücksichtigen (vgl. Crotti 2006, S.363).
Anlass für die erste Phase waren empirische Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland wonach „Mädchen, Angehörige der Arbeiterklasse, in ländlichen Regionen Wohnende und Angehörige des katholischen Glaubens“ (Müller 2001, zit. nach Crotti 2006) benachteiligt wurden. An den Universitäten betrug der Anteil der Frauen unter den Studierenden lediglich knapp ein Fünftel. Bis 1967 war es in einigen Kantonen der Schweiz für Mädchen gar noch verboten, ein Gymnasium zu besuchen. Nach der kompensatorischen Phase in der Koedukationsdebatte, bemühte man sich nach einer Lösung für die Benachteiligung der Mädchen im koeduzierten Unterricht. „Eine Rückkehr zum geschlechterhomogenen Unterricht blieb aus – man entschied sich für die reflexive Koedukation“ (Blastik 1997, zit. nach Crotti 2006). In dieser dritten Phase beschäftigte man sich nun auch mit den Jungen. Vor allem deren Bedürfnisse, Ressourcen und Probleme wurden berücksichtigt (vgl. Crotti 2006, S. 367).
Wer profitiert von den Bildungsreformen?
Die schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) kam schon 1969 zu dem Schluss, dass „die Untervertretung der Mädchen in den höheren Schulstufen und der Berufsausbildung durch die Volksschule verschuldet sei“ (vgl. Crotti 2006, S. 367). „Sowohl im Unterricht als in den Lernmaterialien sollen die Geschlechterrollen ausgewogen dargestellt werden“ (vgl. Crotti 2006, S. 367). Die Mädchen wurden fortan als die großen Gewinner all dieser Reformen dargestellt. Vor allem die Industrieländer profitierten von der allgemeinen Schulpflicht und den bildungspolitischen Maßnahmen (vgl. Crotti 2006, S. 369). Die Abschlussquoten der Frauen im Sekundarbereichs II als auch im Tertiärbereich übertrafen in 14 von 16 OECDLändern jene der Männer (OECD 2005, S.2 nach Crotti 2006, S. 369).
Laut dem Bundesamt für Statistik Deutschlands verzeichnen Mädchen deutlich bessere Schulleistungen als Jungen, wiederholen weniger oft eine Klasse, werden seltener in eine Sonderschule versetzt und profitierten somit deutlich mehr von der Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte. Dennoch gibt es weiterhin hartnäckige geschlechtsspezifische Unterschiede. Vor allem bei der Berufsreife. Jungen verlassen das Bildungssystem früher und ergreifen gegenüber den Mädchen auch prozentmäßig vermehrt eine berufliche Ausbildung. Ein Grund dafür könnte allerdings die immer noch verbreitete Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt zusammenhängen (vgl. Crotti 2006, S. 370 f.). Frauen arbeiten vermehrt nur Teilzeit, akzeptieren prekäre Arbeitsverträge, schlechtere soziale Leistungen und eingeschränkte berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten (vgl. Crotti 2006, S. 371). Statistisch gesehen profitieren Mädchen von den vergangenen Bildungsreformen stärker als Jungen, können dies aber aufgrund von herrschender Diskriminierung oder Familienplanung am Arbeitsmarkt nicht umsetzen.
Verwendete Literatur
Crotti, C. (2006). Ist der Bildungserfolg bzw. misserfolg eine Geschlechterfrage? Zeitschrift für Pädagogik 2006, 363374
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