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E-Learning stärkt das informelle Lernen

Sprache lernen im Vorübergehen! Lernposter

Ausschnitte aus einem Interview mit Walter F. Kugemann, Institut für Lern-Innovation (FIM) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Die demographische Perspektive hat gezeigt, dass man sich beim Lernen nicht auf eine bestimmte Altersgruppe beschränken sollte. Man darf sich nicht an Bildungsinstitutionen orientieren, sondern an den Menschen. Deshalb muss man Lernkompetenz auf die ganze Lebensspanne ausdehnen. Wir beobachten zwei gegenläufige Prozesse: Zum einen blicken wir heute auf ein längeres, aktives Leben, zum anderen verkürzen sich die Wissenszyklen. Früher lernte eine Gesellschaft von einer Generation zu anderen. Jetzt hat die Forderung nach lebenslangem Lernen eine klare demographische Begründung. Vom gesellschaftlichen Standpunkt aus ist Lernen heute ein zentraler Punkt in der Verteilung der Lebenschancen. Der Begriff des „digital divide“ beschreibt die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung aufgrund von technischer Teilhabe oder Ausschluss. Die Riga-Erklärung der EU zur Kommunikations- und Informationstechnologie von 2006 spricht von „social inclusion“ und „e-inclusion“ in einem Atemzug und fordert, Lernprozesse so zu gestalten, dass sie allen offen stehen und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.
Lebenslanges Lernen gelingt, wenn man informelles Lernen (einschließlich unbewusstem, ungeplantem Lernen durch Erfahrungen) und formelles Lernen (curriculares Lernen in Schule, Ausbildung, Kursen) stärker aneinander bindet und Synergien schafft. Wenn die Lernformen auseinanderdriften, kommt es (…) zu einer hohen Quote von Schulabbrüchen und einem massiven Anwachsen des nicht-staatlichen Schulsystems. Man darf sich eben nicht gegen die Lerneinflüsse der Kinder stellen, sondern sollte fördern, dass sie situativ erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten in produktiver Weise anwenden können. Durch die Zertifizierung solcher Kompetenzen kann man am stärksten lebenslanges Lernen fördern.
Statt von „mediengestütztem“ (Lernen; W.S.) möchte ich lieber von „technical enhanced learning“ sprechen. Ich bin der Überzeugung, wir sollten statt von „eLearning“ nur noch von „Learning“ sprechen. Denn heute haben alle Lernprozesse eine e-Komponente. Schüler schreiben ihre Referate am PC mit Rechtschreibprogramm. Statt im Lexikon schaut man bei wikipedia oder leo nach. In VHS-Sprachkursen kommuniziert man per email und hört sich zur Übung eine Sendung im Internet an. Eine Auftrennung mit oder ohne „e“ ist also nicht mehr sinnvoll.
Was man im Englischen mit dem Bild „the mechanisation of the horse“ beschreibt, heißt: Alte Metaphern mit neuen Technologien weiterzuführen ist falsch. Dies wird deutlich durch den Vergleich von ins Internetzeitalter übernommenen Konzepten des Klassenzimmers mit Frontalunterricht mit der „Open Classroom“-Bewegung z.B. in Skandinavien: Die neue Lehrergeneration wird bald „digital native“ sein. Sie weiß, dass man nicht mit Google und wikipedia konkurrieren muss, sondern solche Werkzeuge zu neuen Formen der Lernorientierung nutzen kann. Als Mathematiklehrer führt man keinen Beweis mehr an der Tafel, sondern alle Schüler, ausgestattet mit Laptop und W-Lan, recherchieren zum Thema im Internet. Die neue Aufgabe des Lehrers besteht nicht mehr in der Vermittlung von enzyklopädischem Wissen, sondern in der Erarbeitung von Kompetenzen, Informationen zu bewerten.
Aber Institutionen und die Kultur des Lernens zu verändern dauert lange, denn hier sind Werte, Traditionen und Identitäten fest miteinander verbunden. Unser Ziel muss es sein, zu einem am Individuum und seinen Bedürfnissen orientierten Lernen zu kommen. Nicht die Noten und Diplome sollten zählen, sondern die persönliche Qualifikation eines Menschen.
Digitale Technologien haben den Nebeneffekt, dass sie dokumentieren und Prozesse transparent machen. Das ist die Vorbedingung für Qualitätssicherung. Um die Frage der Qualität zu klären, brauchen Teams und Kooperationen transparente Konsensprozesse. Eine stärkere Rollendifferenzierung vermittelt dem Lerner größeres Selbstbewusstsein. Er sieht sein Lernen und seine Wahlmöglichkeiten im Mittelpunkt. Dies verdeutlicht z.B. das Konzept des „learner generated content“: Z. B. erarbeiten sich Lernergruppen selbst ihre Lernmaterialien, die sich enger an ihren Bedürfnissen orientieren als „Fachtexte“. Dies reduziert zugleich die Bedeutung von Institutionen. Immer mehr Studierende suchen sich die passende Universität zu ihren Schwerpunkten, statt sie sich von einem Professor vorgeben zu lassen. Diese Form von virtueller Mobilität nimmt zu.
Das in der e-Euphorie der späten 90er Jahren prognostizierte „digitale Klassenzimmer“ ist – glücklicherweise – nicht eingetreten. Aber Lernen ist vielfältiger und personenbezogener geworden. Lernen ist immer noch der stärkste Motor für Innovationsprozesse, für ihre Beschleunigung und ihre Ausrichtung.
Wir lernen heute effizienter im Sinne von wissenschaftlicher. Es geht nicht mehr den Erwerb von enzyklopädischem Inhaltswissen, das man abruft wie anwendbare Rezepte in Form von „Man nehme…“. Heute müssen wir Strukturkompetenz erwerben, die man in sozialer Interaktion durch das Abwägen von Alternativen erlangt.

Quelle: http://www.checkpoint-elearning.de/?aID=5983 (08-10-14)




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